Erwin Böhm
Erwin Böhm wurde am 16. Mai 1940 geboren.
Nachdem er ursprünglich Autospengler (Karosseur)
gelernt hatte, machte er 1963 das Examen als
Krankenpfleger und arbeitete danach in verschiedenen
Fachgebieten der Psychiatrie. Im Jahr 1985 wurde sein
erstes Buch "Krankenpflege - Brücke in den Alltag"
veröffentlicht.
Sein bekanntestes Buch "Verwirrt nicht die Verwirrten"
erschien 1988. Hier stellt Erwin Böhm sein zweites Modell
für den stationären Bereich vor. Das Reaktivierungskonzept
soll den Bewohnern Hilfe zur Selbsthilfe geben.
Erwin Böhm ist Träger vieler Auszeichnungen. Im Jahre 2008 wurde ihm das
goldene Ehrenzeichen der Republik Österreich verliehen.
Entstehung des Modells durch eigene Beobachtungen
Professor Erwin Böhm, Begründer der Psychobiographischen Pflegetheorie und
des Psychobiographischen Pflegemodells, hat einen ganzheitlichen und äußerst
praxisorientierten Ansatz für die Geriatrie, Gerontopsychiatrie und Psychogeriatrie
geschaffen.
Die Zahl der demenziell erkrankten alten Menschen nimmt mit steigender
Lebenserwartung ständig zu. Die Pflegesituation im Krankenhaus-, und Heimalltag
wird für Pflegende immer komplexer und anspruchsvoller. Sein Modell fördert ein
vertieftes Pflegeverständnis durch die intensive Auseinandersetzung mit der
Gefühlsbiographie der Betroffenen.
1965 begann er eine rehabilitative Pflegeform zu entwickeln. Statt der damals
üblichen "Warm-Satt-Sauber-Pflege" entwarf Böhm ein Reaktivierungsmodell, in
dem Patienten bzw. Bewohner wieder selbst die Tätigkeiten des Alltags verrichten
sollten. Das Modell wurde auch durch andere Wissenschaften beeinflusst.
So verwendete er Teile der Tiefenpsychologie von Freud sowie die I
ndividualpsychologie von Alfred Adler. Auch Bereiche der Verhaltenstherapie
sowie der Sozialtherapie wurden integriert.
Prof. Erwin Böhm bemerkte, dass die Pflegeperson dem Heimbewohner früher
alles abnahm. Jede Tätigkeit wurde vom Pflegepersonal übernommen; es wurde
nicht versucht, Bewohner dahingehend zu motivieren, die alltäglichen Tätigkeiten
wieder selbst auszuführen. Dadurch kam es zu einer Hotelisierung,
Altenheimisierung und Demotivierung der Menschen. Sie gingen "sterben", wie
Böhm das nannte. Böhm wollte ihnen die Aktivitäten wieder zurückgeben, sie
wieder am Leben teilhaben lassen. Dabei bemerkte er, dass nur Tätigkeiten,
welche die Bewohner früher schon mal ausgeübt hatten, wieder aufgerufen werden
konnten. Wichtig war es also, über Biografiearbeit diejenigen Aktivitäten zu finden,
die den alten Menschen von früher bekannt waren und ein Motiv für sie bildeten,
wieder aktiv zu werden.
Böhm stellt in seinem Modell heraus, dass es wichtig sei, die Normalität der
Menschen herzustellen. Eine Person, die sich ihr Leben lang nur einmal in einer
Woche gewaschen habe, verstehe nicht, warum die Schwester wolle, dass sie
nun täglich dusche. Ihre Normalität sei anders. Wichtig sei es deshalb, sich nach
der Normalität der Bewohner zu richten und nicht das Hygienebedürfnis der
Schwester zu befriedigen.
Oberstes Ziel der Böhmschen Pflegephilosophie ist die psychische Wiederbelebung
("Reaktivierung") des alten Menschen, die maximale Förderung seiner noch
vorhandenen Ressourcen und Anerkennung seiner psychobiographisch
gewachsenen Identität.
Grundsätze der psychobiographischen Pflegetheorie
Auffällige Verhaltensweisen lassen sich laut Böhm nur im Lichte der individuellen
(thymopsychischen) Biographie und der daraus ableitbaren "Prägung" verstehen.
Es ist also wichtig, die psychobiographische Normalität der Menschen zu kennen
und wiederherzustellen. Eine Person, die sich ihr Leben lang nur einmal in der
Woche gewaschen hat, versteht nicht, warum die Schwester will, dass sie nun
täglich duscht. Wichtig ist es deshalb, sich nach der psychobiographisch
gewachsenen Normalität und Identität der Bewohner zu richten und nicht etwa
das Hygienebedürfnis des Pflegepersonals zu befriedigen.
Die Anwendung des Psychobiographischen Pflegemodells lässt grundsätzlich
eine Reaktivierung, d.h. eine deutliche Verbesserung des psychischen Zustandes
des dementen Menschen zu, indem sie die Demenz nicht als organisches, sondern
als psychobiografisch interpretierbares Problem sieht. Der demenzkranke Mensch
bleibt in seinem Gefühl, also seiner Thymopsyche erreichbar. Durch aus der
individuellen und kollektiven Biographie abgeleitete Schlüsselreize kann die
Lebensenergie wieder entfacht werden.
Resultat
Eine systematische Anwendung des Psychobiographischen Pflegemodells
führt mindestens zu folgenden Verbesserungen für die Klienten und das Personal:
eine Reaktivierung bei Klienten im Destruktionstrieb und Rückzug
eine Symptomlinderung ohne Einsatz von Psychopharmaka
eine Erhöhung des Selbstwertgefühls beim alten Menschen
eine Verbesserung der Pflegequalität durch "seelische Pflege"
eine deutliche Erhöhung der Arbeitszufriedenheit
eine Senkung der Krankenstände.